Modellgeschichte
Ursprünge der Kunststoffkarosserie
Schon Ende 1935 hatte die Auto-Union Kontakte mit zwei Herstellern für das damals noch “Schichtstoff” genannte Material aufgenommen. Man wollte eine Karosseriebeplankung, die wesentlich billiger und in der Herstellung einfacher war als das aufwändige Holzgerippe mit Kunstlederbeplankung. Da war zwar das Material billig und man benötigte keine teueren Werkzeuge, allerdings war diese Art des Karosseriebaus enorm arbeitsintensiv. Mitte 1936 gab es die ersten Versuche mit Türen aus “Plaste” an den bekannten DKWs. Die liefen auch ganz gut, allerdings zeigte das verwendete Material Schwächen in der Festigkeit bei Unfällen. Und teuer war es auch.
Der Grundstoff Phenolharz und der Füllstoff Hartpapier wurden bei 180 °C und einem hohen Druck über mehrere Minuten gepresst. Dafür brauchte man jedoch wieder eine große Presse, die verwendete 2000-t-Presse erwies sich schon als zu schwach. Man versuchte auch andere Füllstoffe wie Holzmehl, Textilfasern und Asbestgewebe. Mitte 1937 gab es Versuche mit drei kompletten Karosserien, die aus dem neuartigen Material gefertigt waren. Diese wurden an F7-Fahrzeugen getestet. Selbst Crashtests wurden durchgeführt, welche die Stärken und die Schwächen des neuen Materials offenbarten. Diese Tests wurden mit verschiedenen Fahrzeugen bis etwa 1944 fortgesetzt. Ein weiteres Problem, an dem auch am P 70 noch experimentiert wurde: Die “Plaste” hatte große Probleme, einmal aufgetragenen Lack bei sich zu behalten.
Nachkriegsentwicklung
Nach dem Krieg lief die Produktion des DKW F8 in bescheidenem Rahmen wieder an. Der PKW F 9 wurde nur in ganz geringen Stückzahlen hergestellt. Denn in Zwickau waren die Werksanlagen der Auto-Union von der Besatzungsmacht demontiert worden. Man wusste zwar, wie man Autos baut, aber Werkzeuge, Rohstoffe und Zulieferteile waren nur schwer zu beschaffen. Feinblech bildete eine ganz besondere Hürde, denn gerade davon benötigt man für Autos konventioneller Machart besonders viel. Personenwagen bauen war eben kein vorrangiges Staatsziel in der DDR und so wurden “wichtige” Industriezweige bevorzugt mit allem Notwendigen beliefert. Kein Wunder, dass die ersten Nachkriegsfahrzeuge wieder vorwiegend den alten Holz-Kunstlederaufbau bekamen. Die Versuche der Auto-Union waren aber nicht in Vergessenheit geraten. Seit kurzem gab es im Westen was ganz Neues: Polyesterharz. Das war aber zu teuer, denn es hätte vom Klassenfeind importiert werden müssen. Die Versuche aus der Vorkriegszeit konnten nicht wieder aufgenommen werden, denn die benötigten großen Pressen waren überhaupt nicht beschaffbar. Außerdem waren die bisherigen Partner aus Auto-Union-Zeiten, hier in erster Linie die Dynamit Nobel, nicht mehr erreichbar, lagen sie doch jetzt im feindlichen Ausland. So musste man das jetzt in Zwickau selber in die Hand nehmen.
1951 wurde eine Expertengruppe eingesetzt, die sich um die Kunststoffkarosserie kümmern sollte. Einfach war das nicht, denn die Entwicklung von synthetischem Karosseriebaumaterial gehört nun mal nicht zu den Hauptaufgaben einerAutofabrik. Zuerst experimentierte das Team um den Ingenieur Wolfgang Barthel mit PVC-ähnlichen Materialien. Das ging schon mal ganz gut. Im Mai `51 wurde der erste Versuchswagen, eine Cabriolimousine F 8, mit PVC-Karosse auf die Straße geschickt. Es gab auch Versuche mit dem F 9, dessen Karosserieform sich aber als ungeeignet für den Plasteinsatz zeigte. Sorgen machte man sich vor allem um die geringe Wärmefestigkeit des Materials. Leider zeigte sich außerdem, dass die Verpressung von PVC mit Füllstoff nicht in die Serie überführt werden konnte. Probleme gab es auch mit den Presswerkzeugen, denn auch diese mussten von den Automobilbauern selber entwickelt werden. 1953 war man dann soweit, einen brauchbaren Werkstoff serienmäßig herstellen zu können. Das Phenolharz wurde in getrocknetem Zustand auf das Baumwollfließ gestreut und eingewickelt. Die Matten werden grob vor geschnitten und kommen mehrere Minuten in eine beheizte Presse. Dort verflüssigt sich das Harz, durchtränkt das Gewebe und wird dann fest. Damit Feuchtigkeit entweichen kann, wird der Pressenstempel kurz mal angehoben. Noch 1953 wurden erste einfache Karosserieteile am F 8 sowie an LKWs aus diesem neuen Material gefertigt. Nun besteht ein Auto ja nicht nur aus der Karosserie.
Der P 70
Auch die Geschichte der Technik des P 70 ist abwechslungsreich und interessant. Allgemein bekannt ist, dass das Fahrtgestell des P 70 im Grunde vom DKW F 8 abstammt. Das war so eigentlich gar nicht vorgesehen. Im Januar 1954 kam vom Ministerrat die Anweisung, einen Nachfolger namens P 50 für den inzwischen völlig veralteten F 8 zu entwickeln. Vorgaben wurden auch genannt:
1. Kleinwagen mit 4 Sitzen, davon 2 “Nebensitze”
2. Gewicht fahrfertig höchstens 600 kg
3. Höchstgeschwindigkeit 80 km/h
4. Benzinverbrauch 5,5 l/100 km
5. Jahresprodukt 12000 Stück
6. Preis: 4000,00 DM ab Werk
7. In 18 Monaten sollte der Wagen produktionsreif sein.
In Zwickau sowie im Forschungs- und Entwicklungswerk in Chemnitz war man mehr als skeptisch, diese Vorgaben einhalten zu können. Ende 1954 wurden zwar schon die ersten Prototypen für den P 50 vorgestellt. Diese galten aber nicht als gelungen: Immer noch zu viel Blechanteil und zu wenig Platz im Innenraum. Nun war es aber gar nicht so einfach, daran weiter zu arbeiten, denn es gab weder genug Geld noch Arbeitskräfte dafür. So wurde die Idee geboren, den alten F 8 mit einer neuen Plastekarosse auszustatten.
Das widersprach natürlich den Vorgaben von ganz oben und es bedurfte einiger Tricks, die Beobachter der Staatsführung zu täuschen. Im Grunde musste man die Entwicklung des P 70 als P 50 “verkaufen”, was auch gelang. Im Sommer 1954 fragte das Ministerium für Maschinenbau nach, was denn für Musterfahrzeuge vorbereitet wurden und man wies darauf hin, dass die Weiterentwicklung des F 8 nicht geplant sei. Diskret arbeitete man in Zwickau weiter. Der Motor des F 8 wurde um 180 Grad gedreht vor die Vorderachse eingebaut. Mittels eines neuen Zylinderkopfes wurde die Leistung von 20 auf 22 PS gesteigert. Das Lenkgetriebe konnte vom F 9 verwendet werden. Der Rahmen vom F 8 wurde entsprechend verändert und für die neue Pontonkarosserie gekürzt. Diese bestand wie geplant aus dem neuen Pressstoff, welches an ein Holzgerippe nach alter DKW-Machart angebracht wurde.
Im August 1954 konnte der erste P 70-Prototyp fertig gestellt werden. Die Arbeiten am P 50 gingen unterdessen weiter, kamen jedoch kaum voran. Das gefiel den Ministerialen in Berlin gar nicht. Die Situation drohte zu eskalieren. Trotzdem wurde gegen den Willen des wissenschaftlichen Beirats der IFA entschieden: Der P 70 wird zur Serienreife gebracht und am P 50 wird weitergeforscht. Eine Entscheidung, die sich an den Realitäten orientierte, was in der DDR-Wirtschaft nicht selbstverständlich war. Die Serieneinführung des P 70 wurde dadurch beschleunigt, denn jetzt gab es Entwicklungsgelder. Hauptlast der Weiterentwicklung trug das Werk Audi. Ein weiterer Prototyp konnte im November 1954 fertig gestellt werden. Speziell an der Gestaltung des Fahrzeughecks wurde noch gewerkelt. Es konnte aber nichts entscheidendes mehr geändert werden. Großer Nachteil der P 70- Karosserie: Es gab keine Kofferraumhaube! Prototypen Nr. 4 und 5 zeigen bis auf wenige Ausnahmen das endgültige Aussehen und waren im Februar 1955 fertig. Wagen Nr. 5 bekam eine Karosserie aus dem Karosseriewerk Dresden (ehemals Gläser). Schon wurden die ersten Prospekte gedruckt.
Verzögerungen gab es trotzdem genug und die kamen oft von den Zulieferern. So hat die Antriebseinheit des P 70 immer noch eine Kette zwischen Motor und Getriebe. Und Antriebsketten gab es kaum, woran auch die Motorradfraktion jener Zeit litt. Die Lackierung stellte auch noch ein Problem dar, weil erst ein spezielles Grundierungsverfahren entwickelt werden musste, welches sehr arbeitsintensiv war. Die Befestigung der Plasteteile am Holzgerippe war auch noch nicht befriedigend und bedurfte der Verbesserung. Ab März 1955 wurden Vorserienfahrzeuge gebaut und intensiv getestet.
Parallel wurde im Werk die Serienproduktion vorbereitet.
Hier zeigten sich weitere Mängel, die aber nicht alle abgestellt werden konnten. So waren z.B. Fensterheber nicht zu beschaffen. Daher einigte man sich auf Schiebefenster. Es wird berichtet, dass einige Vorserienfahrzeuge überhaupt keine zu öffnenden Seitenfenster hatten! Die Dynastartanlage des Motors lief noch auf 6 Volt und war zur schwach. Sie wurde für den Serienstart auf 12 Volt geändert und verbesserte das Startverhalten. Der BVF-Vergaser wurde weiterentwickelt, war aber erst ab Anfang 1956 lieferbar. Man hätte auch gerne den leistungsstärkeren Dreizylindermotor des F 9 gehabt. Davon gab es sogar zwei Versuchswagen. Aber das war wohl illusorisch und hätte sich auch zu weit von den Vorgaben und Beschaffungsmöglichkeiten entfernt. Genügend Karosseriepressen gab es auch nicht. Daher hatten die ersten P 70 noch ein Kunstlederdach nach Art des F 8. Im August 1955 konnte dann endlich die Produktion anlaufen. Geplant war auch eine Kombiversion, aber man konnte nicht alles auf einmal haben. Der Serienstart der Limousine war wichtiger.
Erst ab Oktober 1955 wurden versuchsweise Kombis gebaut. Der Serienstart verzögerte sich bis Anfang 1956. Im Karosseriewerk mussten Pressen für die speziellen Karosserieteile des Kombis aufgestellt werden. Das Dach ließ sich nicht aus Duroplast herstellen, es war zu groß. Daher blieb es hier bei der Kunstlederbespannung mit Sperrholzskelett (Die Quellen sind sich übrigens nicht einig, aus welchem Karosseriewerk der Kombi kam, Kirchberg meint, er wäre nur in Zwickau gebaut worden. Rönicke schreibt, dass die Produktion nach einiger Zeit nach Dresden ins KWD ausgelagert wurde. Letztere Version bestätigte auch ein leitender Angestellter von AWZ aus diesen Jahren.).
Der P 70 machte aber auch nach Serienbeginn weiter Sorgen. So waren die Presswerkzeuge nur sehr kurzlebig, weil zu deren Bau Materialien mit unterschiedlichem Wärmeausdehnungsverhalten verwendet wurden. Bei 180 °C trennte sich dann die Heizplatte von der Form. Erst Anfang 1957 waren die Pressen haltbar. Auch die Haltbarkeit der Verbindungen von Holzskelett und Plasteteilen war schwierig und verschiedene Verfahren wurden ausprobiert. Ein geeigneter Klebstoff musste aus der Schweiz importiert werden. Erst 1958 gab es etwas Passendes aus der heimischen Chemieindustrie. Bei den ersten ausgelieferten Fahrzeugen platzte der Lack an belasteten Stellen ab. Der neu entwickelt, lufttrocknende Haftgrund war nicht serienreif. Erst eine bei 80 °C eingebrannte Kunstharzgrundierung brachte Sicherheit. Des Weiteren kam es zu Verfärbungen und Flecken, weil der Lack mit dem Phenolharz reagierte. Und wieder musste das Lackierverfahren umgestellt werden. Dann neigten die ersten Pappen zum Aufquellen, verursacht durch quellfähige Bestandteile der Baumwolle. Also musste die Deckschicht erst abgekocht werden. Dann kam da noch die Sache mit Unfallreparaturen. Da zeigten sich die Vorteile des neuen Werkstoffs. Nix ausbeulen, nix schweißen!! Risse und Löcher konnten einfach verklebt werden. Aber auch diese Verfahren mussten erst entwickelt werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der P 70 in der DDR die Grundlagen für die Verwendung von Kunststoff im Karosseriebau legte. Durch seine große Belastbarkeit trug er dazu bei, Vorurteile gegen diesen neuen Werkstoff abzubauen. Die Erkenntnisse, die bei der Entwicklung der P70-Karosserie gewonnen wurden, halfen ganz erheblich bei der Serieneinführung des Trabant.
Wer sich näher für dieses Thema interessiert, dem seien besonders zwei Bücher an´s Herz gelegt, welche neben anderen für diesen Beitrag verwendet wurden.
- Plaste, Blech und Planwirtschaft
von Dr. P. Kirchberg
(Quelle 1)
- Trabant Legende auf Rädern
von Frank Rönicke (Quelle 2)
Prototypen
Gegen Ende der Produktion wurden zwei Fahrzeuge mit F9-Motor und hydraulischer Bremse aufgebaut und liefen als Dienstfahrzeuge im Werk in Zwickau. Für beide wurde die Karosserie der Limousine verwendet, die im Bereich der Kühlerblende nach vorn verlängert wurde. Von diesen beiden Fahrzeugen haben Bilder überlebt, die ich hoffentlich demnächst auch hier zeigen kann.